Hinter den Kulissen mit Brezel Göring: Über Pro Eater, Seeigel und andere Delikatessen.

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Für sein neues Album „Psychoanalyse Volume 2“ traf ich Brezel Göring in der Kantine der Volksbühne Berlin. Hier durfte ich nicht nur guten Kaffee für 80 Cent trinken, sondern auch mal hinter die Kulissen blicken und auf der Bühne sitzen. Brezel probte hier für das Stück SMAK! (SuperMacho AntiKristo). Dafür hat er gemeinsam mit dem philippinischen Künstler, Musiker und Regisseur, Khavn De La Cruz, als Co-Autor an Texten und Musik mitgeschrieben. Ein musikalisches Trash-Fest, eine Punkrock-Oper in 100 Akten. Ein kunterbuntes Unterhaltungsprogramm erwartete mich während des Interviews, aber auch später zur Premiere, die bereits am 13.04.2022 stattfand.

Jetzt saßen wir da also mitten im Geschehen. Hoch oben auf der sich immer wieder drehenden Bühne. Da wo die Band, das sensationelle Smakestra!, spielt und die Darsteller singen und tanzen. Während Brezel mit Gitarre auf seinen Einsatz wartete, konnte ich bereits einige Fragen stellen.

Was ist das hier für ein Stück?

Brezel: Das Stück heißt SuperMacho AntiKristo (SMAK!). Es ist von dem philippinischen Filmregisseur Khavn De La Cruz. Es geht um das Werk von Alfred Jarry (einem französischen Schriftsteller), und da bezieht er sich vor allem auf dessen Diktator-Parodie „König Ubu“. Allerdings, so ist das immer bei Khavn, will er nichts über Alfred Jarry sagen, sondern er will wissen, was Alfred Jarry über die Philippinen sagt. Insofern gibt es ganz viele Bezüge und Verweise, die was mit der Geschichte oder kolonialen Geschichte der Philippinen zu tun haben. Auch die Frage: Was ist überhaupt typisch für die Philippinen? Also, was war vor der spanischen Kolonialisierung ursprünglich mal da? Die Frage ist immer hypothetisch. Das ist wie Science Fiction auf die Vergangenheit projiziert. Deshalb arbeitet Khavn mit diesen kleinen Referenzen in Form von Tänzen und Bambus. Es geht viel um Blasphemie und Religion, und immer wieder die Verweise auf Jarry. Im Grunde genommen die Methode, Geschichtsbetrachtung zu betreiben, die ist eine pataphysische Alfred Jarry-Methode (Pataphysik ist ein absurdistisches Philosophie- und Wissenschaftskonzept des französischen Schriftstellers Alfred Jarry, Quelle: Wiki)

Noch nix los in der Kantine.

Und wie bist du dazugekommen? Hast du schon mal was mit Khavn gemacht?

Brezel: Wie ich jetzt dazu gekommen bin, weiß ich auch nicht so genau, aber ich kenne ihn schon längere Zeit und habe immer Musik für seine Filme gemacht. Aber da er selbst ein guter Musiker ist, braucht er eigentlich niemanden.

Und da spricht Khavn auch schon aus dem Zuschauerraum zu seinen Darstellern und Brezel muss kurz unterbrechen und zu seiner Band. Danach ergänzt er noch die Frage:

Brezel: Ich bin nicht sonderlich kreativ. Ich helfe einfach dabei diese Idee umzusetzen. Das ist meine Rolle hier.

Aber das ist ja auch schon ziemlich kreativ und es sieht nach viel Spaß aus.

Brezel: Ja, es ist lustig, weil es auch ungewöhnlich ist. Es ist chaotisch, weil so viele Leute dabei sind.

Und dann werden wir noch mal kurz unterbrochen, weil jetzt Khavn kurz Hallo sagen möchte. Er sieht super aus in seinem bunten Outfit und dieser riesigen coolen Sonnenbrille. Seine Begleitung trägt Anzug und ihn wird man später mit vielen Würstchen auf der Bühne sehen. Er hat eine sehr außergewöhnliche Profession, wie Brezel dann auch gleich berichten wird. Brezel zum Begleiter: Wirst du jetzt gleich noch was essen? (Alle lachen).

Brezel: Er ist nämlich professioneller Esser und er macht dann auch immer bei so Wettbewerben mit.

Das wäre ja mein Gesprächspartner. Was macht man denn da genau?

Brezel: Ja, eigentlich müsstest du ihn interviewen. Das ist so ein Typ, der wird immer als sein Autor oder Co-Autor vorgestellt. Einmal waren sie auf einem Filmfestival und da war Khavn nicht da und dann wurde er als sein Kostümbildner vorgestellt. In der Theorie heißt das, dass er noch nie irgendwas gemacht hat. Der ist einfach immer nur dabei. Und wie gesagt, er ist Pro-Eater (professioneller Wettesser). Also, nimmt an diesen Wettbewerben teil, wo man 50 Hamburger in nur drei Minuten essen muss, oder so.

Ah, das ist ja abgefahren.  

Brezel: Ich weiß gar nicht mehr aus welchem Film das ist. Mit Paul Newman gibt es so eine Szene, wo er 50 Eier im Gefängnis essen muss. (Das ist aus dem Film „Der Unbeugsame“ von 1967 ). Das hat er auch mal nachgestellt, allerdings mit 50 Eiern, wo noch lebende Vögel drinnen sind. Das ist eine Delikatesse auf den Philippinen. Das ist hochinteressant, sich mit ihm zu unterhalten, was er in kurzer Zeit schon so alles gegessen hat. Dann hat er mir erzählt, dass sie im Moment für ein neues Burger-Restaurant in den Philippinen trainieren. Die Schnellesser sollen als Werbung dienen. Da gehen die dann jede Woche hin und verdrücken mehrere Portionen Hamburger…

Aber warum?

Brezel: Das ist sein Hobby und seine Sportart. Und dann habe ich ihn gefragt, ob die Hamburger wenigstens gut sind, und da meint er: Nein.

Puh.

Brezel: Er sagte, die sind sehr trocken und demnach schwer zu schlucken. Die werden auch nicht gegrillt, sondern nur so im Backofen erhitzt.

Verrückt. Hat er auch erzählt, wie viele er schafft? Da muss es ja eine bestimmte Technik geben.

Brezel: Also, er sagt, er isst nicht sehr schnell, aber er kann sehr viel essen.

Und danach muss er gleich auf die Toilette oder wie ist das dann mit der Verdauung?

Brezel: Manchmal ist es wohl schwierig mit mehreren Kilos im Magen überhaupt noch zu laufen. Nach manchen Gerichten hat er dann auch keine Lust mehr im zivilen Leben noch mal zu essen. Immerhin musste er sich während der Wettkämpfe noch nie übergeben, was anderen wohl sehr oft passiert.

Schon irre. Und dafür sah er ja fit aus.

Brezel: Ja, er ist ja auch Sportler. Und was ich auch noch lustig fand, vielleicht handelt es sich auch um eine Legende, aber er tritt wohl auch gegen Bären an. Er setzt sich dann neben einen Bären und isst mit ihm um die Wette. Er arbeitet ansonsten wohl für die Regierung, aber kommt ursprünglich aus einer Familie von Schnaps- oder Spirituosenfabrikanten…

Das ist auch gut für die Verdauung…

Brezel: Und sein Großvater hatte so einen Fetisch mit Bikini und Pferden. Da gab es diese Werbung für Whiskey mit einer Frau im roten Bikini auf einem Pferd. Warte mal. (schaut auf sein Handy). Schade, ich habe das Foto leider nicht mehr. Auf jeden Fall ist das der Typ, der immer dabei ist.

Hat er auch einen Namen?

Brezel: Er heißt Douglas.

(Douglas Candano habe ich leider nicht noch mal getroffen, aber ein Wettesser kommt auf jeden Fall auf die Liste: Interessante Gesprächspartner.)  

Essen, das ist ja auch unser Thema heute.

Brezel: Genau, dann holen wir uns doch jetzt was aus der Kantine und reden dann weiter.

Gute Idee. (Kurzer Szenenwechsel. Gang in die Kantine.) Also, dann jetzt mal zu den kulinarischen Fragen. Was gab es denn heute zum Frühstück bei dir?

Brezel: Ich habe eigentlich nie Vorräte zu Hause.

Ich erinnere mich. Bei unserem letzten Gespräch für Laut.de hast du schon erzählt, dass du gar nicht kochst.

(Und da werden wir schon wieder unterbrochen. Sowas passiert während einer Theaterprobe und ist auch gar nicht schlimm.) Diesmal ist es Yasmin Saleh, die im Stück Mescalina spielt und uns fragt: Was macht ihr?

Immer wieder nette Gäste am Tisch. Brezel, links, Yasmin, rechts und icke in der Mitte.

Brezel: Wir essen und unterhalten uns dabei über Essen.

Yasmin: Ich dachte, ihr arbeitet gerade.

Man kann es auch Arbeit nennen. Wir machen ein Interview, aber alles gut. Du kannst gerne mitreden. (alle lachen)

Yasmin: Oh shit. Das tut mir leid. (und läuft lachend davon)

Hier ist was los. Also, kein Frühstück?

Brezel: Doch. Jetzt ist es schon privilegiert und ich hatte sogar Kaffee zu Hause.

Du kümmerst dich demnach jetzt darum, weil Françoise das leider nicht mehr tun kann.

Brezel: Naja, sie hätte sich auf jeden Fall bemüht, dass immer etwas zum Frühstücken da ist, aber gekümmert hätte sie sich jetzt auch nicht. Ich habe das auch immer gerne gemacht für sie, aber allein für mich, da sehe ich keinen Sinn darin.

Aber noch nicht mal ein Kaffee am Morgen?

Brezel: Ich bin auch ohne Kaffee wach. Neulich war auch ganz lustig. Da habe ich eine Freundin mit hier hergenommen. Und dann waren wir auch hier in der Kantine und ich habe sie gefragt: Willst du was essen? Und da hat sie eine sehr gute Antwort gegeben, wie ich finde: Nein, ich habe gestern schon was gegessen.

Ja, kann man machen. Hast du denn ein Lieblingsgericht aus der Kindheit?

Brezel: Nicht so richtig, meine Kindheit ist lange her. Ich kann mich an Gerichte bei meiner Großmutter erinnern, die etwas spektakulärer waren. Da gab es immer zwei riesige Schüsseln, eine lila und eine weiße, und da waren dann Heringssalate drinnen. Ich bin schon früh Vegetarier geworden, ich glaube mit 12 Jahren. Meine Mutter hat sich auch immer bemüht vegetarisch zu kochen. Da gab es dann zum Beispiel Schnitzel aus Sellerie.

Das ist schon eher ungewöhnlich. Sonst hört man da immer, es gab Kartoffelsalat mit Speckstückchen drinnen und dann heißt es, ja, aber das ist doch kein Fleisch.

Brezel: Als ich 20 Jahre war und Françoise kennenlernte, hatte ich mittlerweile schon Mangelerscheinungen. Ich dachte mir dann, wenn ich mit ihr zusammen bin, einer Französin, die wird mich nicht ernst nehmen, wenn ich Vegetarier bin. Ich habe sofort wieder angefangen Fleisch zu essen. Mein Körper hat das ziemlich schnell aufgenommen und ich fühlte mich irgendwie kräftiger.

Nerven und Kraft braucht man ja oft auch bei Begegnungen mit Menschen. Ihr oder du hattest bestimmt auch mal eine oder mehrere skurrile Fanbegegnungen?

Brezel: Ja, in der Tat gab es das. Ich weiß es nicht mehr so genau, weil das damals auch alles immer so schnell ging. Wir hatten auf irgendeinem Festival gespielt, und alles war ganz wild und durcheinander. Ich hatte eine Hose aus Plastik an und war nass geschwitzt und wollte die nach dem Auftritt sofort loswerden. Ich habe mich dann neben der Bühne hinter so eine Wand gestellt und die Hose ausgezogen und da sah ich, dass alle Leute um mich herum gerade Sex hatten. Fünf Jahre später hat mich dann in einer anderen Stadt eine Frau angesprochen und ich wusste nicht, wer sie ist. Und sie ist wohl auf diesem Festival schwanger geworden und hat ihrer Tochter erzählt, dass ich der Vater sei. Da musste ich total lachen und an den Song von Hank Williams denken „My Son Calles Another Man Daddy“.

Sie wollte dann aber nicht noch Alimente von dir?

Brezel: Daran habe ich auch schon gedacht. Eines Tages wird es an meiner Tür klingeln und dann wird so ein schlechtgelaunter Teenager davorstehen.

Gib mir Kohle, Alta.

Brezel: Ich bin auf alles vorbereitet.

Falls das wirklich mal der Fall sein sollte. Wärst du dann offen für diese Person?

Brezel: Ich würde mir angucken, was das für ein Typ ist. Und wenn ich Lust hätte, die Person näher kennenzulernen oder wenn sie mir gefallen würde, dann würde ich es bei meinem Bedenken mit einbeziehen.

Du bist also generell Menschen gegenüber offen?

Brezel: Irgendjemand muss ja weiterhelfen, wenn er oder sie gerade nicht wissen, wie es weitergeht. Da geht es dann auch nicht nur darum, bin ich jetzt der Erzeuger und muss ich mich jetzt kümmern. Wenn mir jemand gefällt, dann gibt es auch keinen Grund, das nicht zu tun. Das hat dann einen Sinn. Dann freut man sich auch bei den Schwierigkeiten helfen zu können. Manchmal geht es dabei auch nur um Kleinigkeiten, dass jemand weiterkommen muss von A nach B. Oftmals irre ich mich natürlich auch, dass ich ganz oft Sachen sehe, die in der Person dann gar nicht drinnen sind.

Das wäre meine nächste Frage gewesen. Wenn man so offen gegenüber Menschen ist, dann wird man ja leider auch oft enttäuscht.

Brezel: So offen bin ich dann auch nicht. Im Gegenteil…

(Und dann kommt der nächste Darsteller von SMAK! an unseren Tisch. Daniel Zillmann spielt und singt in dem Stück König Ubulbulul.)

Daniel: Ich bin so aufgeregt und habe so viel geübt am Wochenende.

Brezel: Haste?

Daniel: Ja.

Brezel: Ach, das wird schon klappen…

Und dann bekommen wir eine kleine Sondervorstellung von Daniel: Den Kopf abbeißen. Die Fingernägel vierzehn Tage wachsen lassen…

Brezel: Ich freue mich, dass das schon in Fleisch und Blut bei dir übergegangen ist. Du siehst ein Kind und schon bist du in der Rolle.

Daniel: Naja, süß wird’s. (Abgang)

(Wieder zu Brezel) Ok, so offen bist du also gar nicht?

Brezel: Um das noch abzuschließen. Ich möchte den Menschen um mich herum gerne die Freiheit geben, mich zu enttäuschen. Mir ist das auch nach dem Tod von Françoise aufgefallen, dass ich mich zurücknehmen muss, gegenüber anderen Menschen. Da gab es diese Person, meine Freundin, mit der ich eine sexuelle Beziehung hatte, die mein bester Kumpel war, mit der ich zusammen Musik gemacht habe und mit der ich mir keine Sorgen machen musste. Das läuft die nächsten zehn, 20 Jahre so, bis in alle Ewigkeit. Und dann habe ich festgestellt, ich darf mich in der Neuzeit gar keinem anderen Menschen nähern, weil ich diesen damit überfordere, wenn ich denke, dass ist jetzt schon wieder jemand mit dem ich Musik machen kann, befreundet bin, eine Beziehung habe… Vielleicht ist das Einzige was ich mit dieser Person machen könnte, ein bisschen Musik und das auch nur sehr schlecht und kurz und dann geht es wieder auseinander. Also, diese Person darf die Freiheit haben, mich zu enttäuschen.

Klar, wenn man alles geteilt hat und sogar beruflich miteinander verbunden war, ist das natürlich schwierig.

Brezel: So auch mit dem Essen. Françoise hat sehr gerne gekocht und das auch als eine Art Kunstform betrachtet, so ähnlich wie Malen. Verschiedene Ingredienzien, wie verschiedene Farben zusammenbringen und komponieren. Sie hat Kochbücher gesammelt und darin gelesen, wie andere Leute Literatur. Sie hatte ein volles Regal mit Büchern aus der ganzen Welt. Jetzt, wo sie nicht mehr kocht und ausprobiert, habe ich diesen Anspruch nicht mehr. Mit dem regelmäßigen Essen muss es nicht weitergehen. Jetzt guck ich mal, was sonst so passiert. Auf der anderen Seite habe ich dann aber wieder ganz nette Leute. Eine Freundin, zum Beispiel, besucht mich manchmal mit Essen, das sie gekocht hat, und dann essen wir zusammen. Kochen wäre bei mir, in der neuen Wohnung, auch gar nicht möglich. Ich habe mir ein Küchenregal gebaut und das ist so verbaut, dass man den Herd gar nicht mehr aufmachen kann. Der Ofen hat oben so eine Klappe und die bekomme ich nicht mehr auf.

Ah, ein Zeichen!? Du sollst einfach nicht kochen. Auf der anderen Seite hätte es auch ein Ansporn sein können. Jetzt versuche ich das mal mit dem Kochen. Vielleicht macht es mir ja doch Spaß?

Brezel: Es gibt so viele andere Sachen, die ich gerade ausprobiere.

Was ist das zum Beispiel?

Brezel: Nichts zum Essen haben. (Lacht)

Ok. Die Momente gab es vielleicht auch schon, wenn Françoise mal nicht gekocht hat oder nicht da war?

Brezel: Wenn sie mal in Frankreich war, dann hatte ich einen Trick. Ich habe im Schrank eine Tube Harissa gefunden, das ist dieses scharfe arabische Zeug. Davon habe ich mir nachts, wenn ich nach Hause kam, einen Esslöffel voll genommen und bin dann sofort ins Bett.

Das ist auch eine Methode.

Brezel: Und vor Françoise. Da war ich ja noch so jung und da war Essen noch gar nicht erfunden…

Das ist bei der heutigen Jugend aber schon anders. Da wird gerne gekocht und gegessen.

Brezel: Ich freue mich, dass diese Generation ein bisschen kultivierter ist, aber zu meiner Zeit wurde einfach noch nicht so viel gegessen oder es gab halt die Mensa.

Oh ja, an das Mensa-Essen kann ich mich auch noch erinnern. Das war auch nicht immer so gut, aber natürlich günstig.

Brezel: Ich bin mit dem Essen hier sehr froh.

Hier kostet der Kaffee noch 80 Cent. Toll!

Das sieht auch sehr gut aus (leider habe ich kein Foto gemacht). Der Kuchen ist sehr lecker. Aber kommen wir mal zu deinem Album. Das hat zwar nichts mit Essen zu tun, aber das sollten wir schon erwähnen.

Brezel: Doch, es zeichnet sich durch Geschmacklosigkeit aus, also ich sehe da schon eine Verwandtschaft zum Essen.

Bei unserem letzten Interview hieß es, dass deine Songs gar nicht veröffentlicht werden sollen. Und jetzt erscheint im Juni „Psychoanalyse Volume 2“. Volume 1 gibt es nicht?

Brezel: Ich spiele ja gerade bei SMAK! mit vielen Musiker*innen zusammen und jetzt will ich nach der Premiere mit denen mal ins Studio gehen und ein paar Lieder aufnehmen. Dann habe ich noch eine zauberhafte Percussionistin kennengelernt, die spielt nur auf Plastikeimern, die sie auf der Straße gefunden hat. Das finde ich ganz lustig. Mal sehen, was daraus wird.  

Vielleicht ja Volume 1? Deine jetzige Platte hast du aber ganz allein aufgenommen.

Brezel: Manchmal haben Freund*innen noch was eingesungen oder auch Orgel gespielt, aber der Rest ist alles von mir. Wenn du alles so autistisch gemacht hast, ganz allein aufgenommen und dann auch noch der Techniker warst. Du bist also dein eigener Produzent. Dann ist es immer ganz gut, wenn du andere Meinungen einholst, sonst wirst du zum Schluss der einzige Konsument bleiben, weil es dann einfach zu privat ist.

Dein Manager hat die Songs zum ersten Mal gehört und war da so emotional eingenommen, dass er erstmal nicht wollte, dass die Lieder veröffentlicht werden. Das war kurz nach dem Tod von Françoise.

Brezel: Ich habe mich sehr gefreut, dass er und auch andere seine Meinung kundgetan haben. Teilweise haben sich da Äußerungen auch überschnitten und dann wusste ich, ah ja, da ist vielleicht was dran.

Die Songs sind sehr traurig, persönlich und emotional. Da sind wir wieder bei der Offenheit.

Brezel: Das ist sonst auch nicht meine Art von Musik gewesen. Ich habe immer gedacht, alles was künstlich, ironisch oder plastisch durchschaubar ist, nur das finde ich gut. Ehrlichkeit oder so sind für mich keine musikalische Qualität. Aber jetzt, wo es sich so ergeben hat. Ich weiß nicht, das war eben diese ganze Situation. Freundinnen und Freunde haben mich auch darauf hingewiesen, wie ich auf sehr einfache Art und Weise, ganz ernsthafte Sachen zum Ausdruck bringen kann. Als ich das verstanden habe, dann war es auch viel einfacher, diese Lieder zu schreiben, ohne dass es mir peinlich ist, sich so zu offenbaren. Es zeigt ja auch eine schwache Seite, aber darüber hinaus war ich ganz zufrieden.

Ich finde, das ist dir sehr gut gelungen. Es ist auch nicht immer so einfach, so persönliche Lieder auf Deutsch zu schreiben, ohne dass sie gleich schmalzig oder irgendwie beschämend klingen. Ok, ein französisches Stück ist auch dabei. „Défoncé“, die zweite Single aus deinem Album und da singt ja auch hier eine Darstellerin mit. (Lilith Stangenberg spielt die Sisa Jarry in SMAK!). Défoncé heißt süchtig…

Brezel: Nee, kaputt und breit.

Ach ja, bekifft und breit.

Brezel: Hast du nachgeguckt?

Ja, so gut ist mein Schulfranzösisch leider nicht mehr. Worum geht es in dem Lied?

Brezel: Der Sinn des Textes ist einfach, dass mir dieses Wort sehr gut gefallen hat. Und es darum, so oft wie möglich wiederhole: „Ich wohne in der Stadt, Défoncé. Ich komme nach Hause, meine Tochter macht die Tür auf, Défoncé. Meine Frau liegt im Bett und kommt nicht mehr hoch, Défoncé. Ich gehe am Sonntag in die Kirche, der Priester ist Défoncé. Jesus am Kreuz, Défoncé. Ich bin auch Défoncé. Der Zuschauer auch und die Frau beim Teleshopping ist auch Défoncé. Also, so doof ist der Inhalt.

Das klingt auf Französisch aber gar nicht doof. „Sanfter Wahn“ ist natürlich schon bekannt durch deine Sendung für Françoise auf Radioeins. Da hast du das Stück schon mal gespielt. Ein wirklich sehr trauriges, aber schönes Lied über den Verlust eines geliebten Menschen. Und toll finde ich auch die deutsche Version von dem Hair-Titel „Frank Mills“.

Brezel: Das kenne ich noch von meinen Eltern. Die hatten immer diese klassischen Platten, Schwerpunkt: sakrale Musik. Dann haben sie auch manchmal Vinyl geschenkt bekommen und die nie gehört und nach ganz hinten ins Regal gestellt. Da gab es eine Platte von den Beatles, Mahalia Jackson, einen Schlagersampler vom Roten Kreuz, eine Platte über die Mondlandung und eben die deutsche Version von Hair. Haare hieß das. Das waren die Platten, die ich als Kind rauf und runter gehört habe, sobald ich den Plattenspieler bedienen konnte.

Kann man sagen, dass diese Soloplatte von dir jetzt auch ein Abschied von Stereo Total ist?

Brezel: Mein Abschied von allem.

(Und dann kommt die nächste Darstellerin und gesellt sich munter an unseren Tisch. Es ist die Schlagzeugerin vom Smakestra, Changi).

Changi: Ich weiß nicht, was ich tun soll. Was macht ihr?

Brezel: Wir reden über Essen.

Changi: Ich warte auf Anne, denn sie wollte mir süße Spaghetti mitbringen.

Brezel: Jetzt, hier?

Changi: Ja, gleich. Sie meinte, diese Spaghetti sind mit Bananen-Ketchup. Das kann man hier nicht kaufen und das macht sie selbst. Mit Zucker und Tomaten.

Wow. Das klingt interessant. Ist das eine Spezialität?

Changi: Auf den Philippinen, ja. In Japan gibt es sowas Ähnliches. Da gibt es Curry mit Erdbeeren und Schokolade. Das soll aber nicht so gut schmecken.

Brezel: Einmal waren wir in Japan und da wurde uns Sushi serviert mit Sea Urchin und ich wusste nicht, was das ist.

Changi: So gelblich? Das ist Uni auf Japanisch. Das liebe ich.

Brezel: Das schmeckt sehr extrem.

Seegurke?

Brezel: Seeigel. Ich habe nur gesehen, wie alle anderen, die mit uns da waren aus Deutschland, in ihre Servietten gespuckt haben. Ich habe es gegessen und dann wurde ich gefragt, wie ich es fand? Da habe ich gesagt: Das ist das Beste, was ich je gegessen habe. Ich fand es aber grauenhaft. Das hat schlimm geschmeckt. Die haben sich gewundert, weil das so ungewöhnlich ist für europäische Zungen. Um mir dann eine Freude zu machen, haben sie es mir jeden Abend wieder hingestellt, in den unterschiedlichsten Zubereitungsarten und es hat jedes Mal nicht geschmeckt.

Changi: Ich mag das gerne.

Brezel: Es war ganz furchtbar. Ich habe das nur als Witz gesagt oder aus Höflichkeit.

Wie schmeckt denn Seeigel oder Uni?

Changi: Es ist süß und sauer, aber riecht auch stark nach Meer. Die Konsistenz ist schon ungewöhnlich. Ich glaube, es ist auch sehr teuer.

Brezel: Ja, das kommt auch noch dazu.

Changi: Es gibt nur sehr wenig Fleisch darin und deshalb ist es so teuer.

Und wahrscheinlich gibt es die auch nicht so oft?

Changi: Man kann sie nur in einer bestimmten Zeit kaufen.

Sowas Feines habt ihr da also immer auf Tour gegessen.

Brezel: Nach der Japan-Tour hatte ich dann auch genug von dieser Spezialität. Dann habe ich lieber wieder ein Marmeladenbrot gegessen.

An manche Spezialitäten gewöhnt sich der Gaumen wohl nie. Austern muss ich auch nicht essen.

Brezel: Als ich jetzt in Frankreich gewohnt habe, kam eine Freundin zu Besuch und dann sind wir Austern essen gegangen. Da habe ich einen riesigen Korb gekauft und hatte das aber auch schon seit Jahren nicht mehr gegessen. Eigentlich fand ich es ganz gut, aber gleichzeitig dachte ich auch, den Reiz davon kann ich jetzt auch nicht verstehen.

Changi: In Frankreich gibt es auch vieles roh. Dieses Fleisch mit Ei.

Brezel: Beefsteak Tatar. Mit einem Ei drauf. Ja, das ist fantastisch. Das habe ich auch immer gerne gegessen. Dann noch Zwiebeln obendrauf, Pfeffer und Salz und dazu noch eine Scheibe Toast, diagonal geschnitten. Sehr gut. Vielleicht sollte ich hier die Kantine übernehmen und dann immer solche Sachen servieren. Menü Uni 1 oder Uni 2… müsste man dann auch nicht so viel kochen, weil alles ungekocht ist.

Changi: Einfach alles nur noch roh anbieten.

Brezel: Genau, dann kann man auch die Herde rauswerfen. Braucht man nicht mehr.

Zu Changi: Gibt es denn irgendwas, was du nicht magst?

Sie: In Thailand gibt es diese Frucht, die sehr stinkt.

Ah, die Kotzfrucht. (Durian heißt diese Stinkfrucht). Nee, das wäre auch nicht mein Fall.

Changi zu Brezel: Hast du das schon mal probiert?

Brezel: Ich habe mal etwas gegessen, das hat mir total den Magen verdreht. Das war nicht in Thailand, sondern in Singapur. Ich war mal da und habe Studenten unterrichtet und da waren so Spaßvögel dabei, die immer Streiche gespielt haben. Irgendwann haben sie mir dann diese Frucht gebracht und ich sollte das Probieren. Das war wirklich schwierig, das Zeug runter zuschlucken. Noch schlimmer ist aber eine andere Geschichte. Das hat mir ein Freund erzählt, der einen Norweger kennengelernt hat und der auch ein bisschen verliebt in ihn war. Eines Tages hat der Norweger ihn zu sich zum Essen eingeladen. An der Haustür hat er sich schon gewundert, was hier so komisch riecht. Es gab dann eine norwegische Spezialität, Lutefisk und das bestand aus einem Fisch, der jahrelang in der Erde eingegraben wird, dort verschimmelt und danach in eine Ölkonserve eingelegt wird. Das wird dann direkt aus der Dose heraus gegessen. Bei meinem Freund gab es Kartoffeln dazu und er hat immer ein sehr großes Stück Kartoffel genommen und ein winziges Stück von dem vergammelten Fisch dazu.

Changi: Es gibt auch diese schwarzen Eier. Da habe ich noch eins zu Hause. Sie werden auch Pferde-Pipi-Ei genannt. Sie riechen sehr extrem.

Brezel: Und das liegt bei dir zu Hause? Wirst du es auch irgendwann mal essen?

Changi: Ich beiße jeden Morgen mal rein. Mein Cousin hat mir das zusammen mit den Chips extra aus Taiwan geschickt.

Brezel: Oh, es tut mir leid, dass ich alle Chips aufgegessen habe.

Changi: Ich habe noch eine Tüte.

(Zu Brezel): Dann hast du ja doch schon einige kulinarischen Erfahrungen gemacht. Mit Stereo Total seid ihr ja viel rumgekommen.

Brezel: Ja, aber ich war ja immer Vegetarier und ich habe mich sehr zurückgehalten, damit ich nicht krank werde. In Japan gab es den Fisch immer direkt aus dem Meer, auf den Teller. Totaler Extremismus für die Geschmacksnerven. Ich habe mich lieber an das Gemüse gehalten. Die Höhepunkte habe ich wahrscheinlich verpasst, die man dann so hat, wenn man etwas besonders Aufregendes gegessen hat. Françoise hat immer alles ausprobiert. Sie hat auch gerne darüber berichtet, das bestimmtes Essen auf sie aphrodisierend wirkte. Diese ganzen tollen Dinge habe ich nicht erlebt, aber dafür war ich auch nie krank.

Das ist doch auch gut. Letzte Frage, weil ihr ja gleich wieder zur Probe müsst. Essen und Musik passen zusammen…

Brezel: Also, sagen wir mal, im Rückspiegel ja. Weißt du, wie ich das meine? Erstmal passt es nicht zusammen, aber wenn du die Geschichte verkehrt herum betrachtest, schon. Für Françoise war das Kochen, wie Bilder malen, Texte schreiben oder Musik machen. Verschiedene Sachen, die sie gut fand miteinander kombinieren und daraus was ganz Besonderes machen. Das war schon ihr Anspruch beim Kochen. Deswegen würde ich sagen, dass vom Herstellungsprozess, Musik und Essen sich schon sehr ähnlich sind. Aber von der Genussform ganz anders.

Habe ich dir beim letzten Mal schon die Geschichte von den Schnell-Essern erzählt? Ich habe früher in der Nähe von Kassel gewohnt und da bin ich Samstag nach der Schule in die Stadt getrampt, um dort auszugehen. Einmal habe ich dort eine Frau kennengelernt. Bei der habe ich dann übernachtet. Am nächsten Morgen haben die Eltern mich dann zum Mittagessen eingeladen. Ich habe mich an den Tisch gesetzt und war wirklich sehr hungrig. Alle Höflichkeit war mir in dem Moment egal und dann habe ich mich über den Teller gebeugt und ganz schnell gegessen. Der Teller war halbleer und ich richte mich kurz auf, um Luft zu holen und dann saß die ganze Familie da mit leeren Tellern. Die waren schon fertig und haben auf mich gewartet. Insofern, das ist die andere Analogie zwischen Musik und Essen. Das hat auch ganz viel mit Geschwindigkeit zu tun und manche Formen von Essen ist wie bei Hardcore oder schneller Musik, das geht nur mit Geschwindigkeit.

Genießen sollte man es aber auch, aber eine schöne Abschlussgeschichte.

Brezel: Ich danke dir.

Ich habe zu danken und Toi Toi Toi für die Premiere.

Die Premiere von SMAK! lief übrigens ziemlich gut. Ich war dabei und hatte viel Spaß, auch wenn das Sitzfleisch nach 100 Akten etwas zu leiden hatte. Es war ein sehr unterhaltsamer Abend und die Musik sehr gut. Ich hoffe, das Interview hat dir auch Spaß gemacht? Willst du mehr? Dann spendier der Autorin gerne eine Schorle, ein Stück Kuchen oder ein Sitzkissen. Hier kann man die Arbeit von Schleckermäulchen Berlin unterstützen. Vielen Dank (und Abgang)! Kaffee oder Kucken, Knicks!

Brezel Göring und Angela Merkel im Gespräch, Berlin 2022

Bildquellen

  • brezel und yasmin: JLü
  • warten auf den gast – 80 cent kostet hier noch der kaffee: JLü
  • brezel bei der probe: JLü

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