Diego Castro: „Rammstein ist eigentlich Rentnermusik!“

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Wenn ich mich zum Interview treffe, dann sollte natürlich Essen auf dem Tisch stehen. Für alle kochen kann ich nicht immer, aber gute Orte zum kulinarischen Austausch gibt es ja eine Menge. Mit dem Künstler, Musiker und Buchautor Diego Castro (Black Heino) wollte ich ursprünglich in einer Kantine Mittagessen. Leider war die Kantine in der Volksbühne wegen Betriebsferien geschlossen. Somit sind wir letztendlich in der Schwarze Pumpe gelandet. Ein Lieblingsladen von Diego mit gut bürgerlichem Essen. Lohnt sich schon allein wegen der Ausstattung, die an den guten alten Ruhrpott erinnert.

Bei Maultaschen und Pellkartoffeln mit sehr viel Quark sprechen wir über Vereinsamung, Familien-Hype, das Leben als Künstler in Berlin, seine Faszination zum „Schlager des Grauens“, Geschäftskonzepte im Kulturbereich, französische Küche und über sein Buch „Der Knecht“. Ein Romanessay, den man nicht mal eben durchblättert, vielleicht auch mal einige Seiten überschlägt, aber dennoch begeistert ist über diese detaillierte und gut recherchierte, künstlerische-wissenschaftliche Arbeit.

Gleich zu Beginn sprechen wir aber erst mal über Zuckerkonsum. Braucht man den wirklich im Kaffee bzw. Tee? Und sollte man nicht sowieso ganz darauf verzichten? Diego lebt jetzt schon drei Jahre fast zuckerfrei.

Diego: Ich rauche seit einiger Zeit nicht mehr. Damit hatte eigentlich keiner gerechnet, weil ich richtiger Kettenraucher war. Spitzname Helmut Schmidt. Nachdem ich mit dem Rauchen aufgehört habe, fiel mir das mit dem Zucker auch nicht mehr so schwer. Es ist natürlich schwierig, weil in vielen Lebensmitteln Zucker steckt, aber man muss sich die Raffinade ja nicht auch noch freiwillig in den Kaffee oder Tee schütten. Das habe ich irgendwann nicht mehr gemacht und somit eigentlich nach und nach ganz auf Zucker verzichtet. Ich esse auch keinen Kuchen mehr.

Ich schaffe das leider nicht so richtig. Ich liebe Süßes, aber im Kaffee oder Tee brauche ich den auch nicht mehr.

Diego: Ich habe das auch schon aus gesundheitlichen Gründen gemacht. Mein Arzt hatte mir dazu geraten und man fühlt sich wirklich besser.

Irgendwann vermisst man es ja auch nicht mehr.

Diego: Ganz im Gegenteil, wenn ich mir jetzt Zucker in den Kaffee machen würde, dann könnte ich den nicht trinken.

Aber so gar kein Gebäck…

Diego: Naja, zu Weihnachten esse ich auch mal einen Keks. Wenn ich richtig Lust auf etwas Süßes bekomme, dann esse ich einen Quark mit Honig.

Und auch kein Alkohol?

Diego: Doch. Ich bin ja kein Mönch. Und wenn, dann bin ich mindestens ein Franziskaner (grinst).

Und wie lange rauchst du nicht mehr?

Diego: Hm, vielleicht so fünf oder sechs Jahre.

Wir sitzen hier ja jetzt gemütlich beim Mittagessen. Bist du öfter hier?

Diego: Hier komme ich schon ganz lange hin. Eigentlich seit ich in Berlin bin. Ich mag diese Lokalkolorite. Hier geht es um den Kohleabbau, wie man an der Ausstattung und den Bildern sieht. Das sind richtige Arbeitermalereien. Alles Artefakte aus dem Bergbau.

Aber das hat jetzt nichts mit dem Ruhrpott zu tun?

Diego: Könnte, aber ich weiß gar nicht genau.

Später erfuhren wir, dass es hier um den Braunkohletagebau in der Lausitz geht.

Ah, da kommt das Essen. Gab es früher regelmäßig Mittagessen bei euch zu Hause? Alle sitzen zusammen am Tisch?

Diego: Ja, auf jeden Fall. Das war ein Ritual und das gab es nicht, dass einer nicht zum Mittagstisch kam. Das familiäre Zusammenkommen liegt wahrscheinlich auch daran, dass meine Mutter Spanierin ist.

Und da hat auch vorwiegend die Mama gekocht?

Diego: Mittags eher die Mama. Abends auch mal mein Vater, der auch gerne kocht. Er hat immer gerne ausprobiert, vieles aus der französischen Küche. Er musste oft für uns Pizza machen, das war dann eher eine Strafaufgabe, aber wir haben sie geliebt.

Was kocht man Kindern aus der französischen Küche?

Diego: Keine Weinbergschnecken oder Frösche. Da gibt es schon viele leckere Sachen. Französische Kinder leben ja auch. (lacht)

Das stimmt natürlich. Bei französischer Küche fällt einem halt erst mal so dieser kulinarische Schnickschnack ein. Also, eher überbackene Zwiebelsuppe…

Diego: Sowas, gute Hausmannskost, viele Fischgerichte oder Ratatouille.

Und heute? Immer noch regelmäßige Mahlzeiten?

Diego: Nee, heute lebe ich eher ungeordnet. Das Abendessen ist noch einigermaßen regelmäßig. Wenn meine Frau von der Arbeit kommt, kochen wir meistens.

Kochst du gerne?

Diego: Total, aber nur wenn ich gut drauf bin. Wenn ich schlechte Laune habe, dann nicht.

Dann schmeckt es wahrscheinlich auch nicht.

Diego: Nee, dann schmeckt es wie mit Hass gekocht.

Hast du öfter schlechte Laune?

Diego: Geht so. Bin bekannt als Frohnatur.

Haha, dann muss es bei euch ja immer sehr gut schmecken. Hörst du beim Kochen Musik?

Diego: Meistens Radio. Ich höre sowieso immer sehr viel Radio, auch im Atelier. Gerne Deutschlandfunk, aber eher wegen den Beiträgen. Die Musik ist leider nicht so gut. Beim Malen höre ich gerne Schlagermusik aus den 1960ern Jahren.

Ein Faible für Schlagermusik gibt es also?

Diego: Es ist eher eine Faszination des Grauens. Ich weiß nicht, ich mag so skurriles Zeug. Umso bekloppter es ist, umso besser. Ich höre ja eher die Schlager aus den frühen 1950ern, 1960er Jahren. Nicht diese Ilja Richter und Dieter Thomas Heck-Disko-Schlager, sondern alles was davor liegt. Das höre ich ganz gerne, weil meine Arbeit auch oft mit dieser Zeit zu tun hat. Das ist der Soundtrack dafür.

Und was hörst du sonst noch so?

Diego: Alles mögliche. Wenn ich eine Platte von The Fall höre, dann setze ich mir Kopfhörer auf. Da mache ich nicht noch nebenbei den Abwasch. Ich höre auch viel E-Musik, wie zum Beispiel Paul Hindemith oder Debussy.

Einen Plattenspieler hast du auch noch?

Diego: Mehrere sogar. Im Atelier einen und zuhause zwei. Ich lege ja manchmal auf, und habe dann auch einen Plattenspieler zum Mitnehmen dabei.

Plattenspieler zum Mitnehmen, hast du da eine Empfehlung?

Diego: Nein. Die sind alle Scheiße.

Was hast du zuletzt mal aufwendiger gekocht?

Diego: Daube Provencale. Das ist ein Schmorgericht aus Südfrankreich. In einem Topf werden Rindfleisch und Gemüse ganz lange in einer sämigen Weinsauce geschmort. Und der Clou sind grüne Oliven, die in Kamillentee eingelegt sind. Das Schmoren dauert schon mindestens drei Stunden, daher ein eher aufwendiges Gericht.

Danach zerfällt das Fleisch bestimmt von alleine und zergeht im Mund.

Diego: Ja, ganz wunderbar.

Und die Oliven werden in Kamillentee eingelegt?

Diego: Die spanischen sind in Kamillentee und Zitrone eingelegt. Das gibt den Oliven einen ziemlich frischen Geschmack. Ich steh drauf.

Das klingt sehr gut. Würdest du dich als Genießer bezeichnen?

Diego: Ich würde mich sogar als alten Genießer bezeichnen.

Ok, du alter Genießer. Dann hast du bestimmt schon mal daran gedacht ein Bistro oder ähnliches aufzumachen?

Diego: Als Künstler bin ich ja mit sehr prekären Lebensverhältnissen vertraut. Und da kommen einem häufiger mal so Ideen, was man machen könnte. Es war sogar schon mal ein Hotdog-Wagen dabei.

Ein Hotdog mit besonderen Zutaten?

Diego: Nee, so weit ging die Idee nicht bzw. war die Erkenntnis früher da, dass es eher eine Scheißidee ist.

Bevorzugst du die französische oder spanische Küche?

Diego: Ehrlich gesagt, die Französische, die entspricht mehr meinen Geschmacksknospen. Ich bin mit spanischer Küche aufgewachsen und liebe das Essen schon sehr, aber vielleicht ist das Geschmacksspektrum bei der französischen Küche breiter. Ich habe eine Zeit in der Bretagne gelebt und das war schon prägend. In Spanien war ich immer nur bei der Familie zu Besuch.

Wie lange hast du in der Bretagne gelebt?

Diego: In Frankreich war ich so insgesamt zwei Jahre.

Bei Frankreich fällt mir auch Max Müller von Mutter ein. Der erzählte mir im Interview auch, dass er gerne französisches Essen mag. Hat er das von dir?

Diego: Nein, der hat einfach einen guten Geschmack.

Und ist mit dem Kochen quasi aufgewachsen. Er hat früher auch immer in seinen WGs gekocht.

Diego: Ich bin ja nicht so der WG-Mensch, aber habe schon auch zu zweit zusammen gewohnt. Damals auch mit einem Freund ziemlich lange und da habe ich auch die meiste Zeit gekocht. Bei meinen Eltern habe ich früher eher nur zugeguckt oder mal Kartoffeln geschält. Während des Studiums habe ich mir das Kochen dann selber beigebracht.

Was würdest du für dein erstes Date kochen oder was hast du deiner Frau mal gekocht?

Diego: Für sie habe ich schon so einiges gekocht, aber das erste Gericht, hm, da kann ich mich nicht so erinnern. Wir sind auch schon seit 18 Jahren zusammen. War aber bestimmt lecker. Liebe geht durch den Magen.

Wow, schon eine lange Zeit. Gibt es dafür ein Rezept?

Diego: Das würdest du wohl gerne wissen… (lacht).

Kocht deine Frau auch gerne?

Diego: Sie lässt sich lieber bekochen, was ich auch verstehen kann. Sie kommt aus Dänemark und das Essen hat hierzulande eher einen sehr vorurteilsbehafteten Ruf, zum Beispiel Hotdogs, die radioaktiv rot gefärbt sind. Dabei ist die dänische Haute Cuisine  weltweit sehr begehrt. Da gibt es sehr gute Fischgerichte.

Und leckere süße Teilchen…

Diego: Ja, das stimmt und das ist tatsächlich der französische Einfluss.

Mittlerweile kochen sie aber wohl auch gerne mit regionalen Zutaten. (Das Noma in Kopenhagen ist zum Beispiel dafür bekannt).

Schlimmstes Cateringessen auf Tour?

Diego: Das Schlimmste ist natürlich, wenn es gar nichts zum Essen gibt. Und auch kein Buy-out und die Leute sich nicht an den Vertrag halten. Und dann noch Rumzicken, wenn man das moniert. Das, finde ich, ist wirklich das Allerletzte. Wenn mir einer da nur Schokoriegel und Gummibärchen hinstellt, dann kann er sich das auch in die Haare schmieren.

Das sollte sich eigentlich langsam auch herumgesprochen haben, dass das nicht mehr so angesagt ist…

Diego: Das schlimmste Catering, woran ich mich jetzt noch bewusst erinnern kann, war in einem Berliner Laden. Da gab es Überbleibsel von Rotkohl und der wurde so auf den Tisch gestellt und dazu gab es Salzstangen und Chips…

Nur Rotkohl?

Diego: Und Brot und Gürkchen. Da konnte man sich eine Rotkohl-Stulle schmieren. Ich weiß nicht, was die sich dabei gedacht haben, aber das war wirklich unter aller Sau.

Noch nicht mal die obligatorischen belegten Butterbrote?

Diego: Nee, so lieblos, das habe ich selten erlebt. Meistens hat es damit zu tun, was für einen Status die Band hat. Wir sind ja die kleine Independent-Musikband und wenn wir mit anderen Bands auf Tour sind, die besser im Geschäft sind als wir, dann ist auch das Catering anders. Die haben halt ein besseres Management. Wenn jemand die Grugahalle in Essen vollmacht, dann wird er auch ernst genommen vom Veranstalter. Wenn du mit den Ärzten auf Tour gehst, dann ist das Catering wohl ziemlich in Ordnung.

Mit wem waren Black Heino schon mal auf Tour?

Diego: Wir waren mit den Fehlfarben auf Tour und mit Turbostaat und da war das Essen ok.

Und stimmt es, dass man wenn man bei gewissen Bands als Support mit auf Tour will, und man jetzt nicht befreundet ist, Geld dafür zahlen muss? Hat mir letztens jemand erzählt und das war jetzt nicht Grönemeyer oder Die Ärzte.

Diego: Wir machen das nicht. Das haben wir nicht nötig. Das ist eine Schweinerei, finde ich. Das gibt es ja auch im Kunstbereich. Galerien können Künstler anmieten. Das ist das Konzeptgeschäft. Finde ich total Scheiße. Entweder du betreibst ernsthaft eine Galerie und versuchst die Leute an den Markt zu bringen oder lässt es bleiben. So ist das ja auch bei vielen Veranstaltern. Wenn ihr euch Bands nicht leisten könnt, dann lasst es bleiben.

Und wenn nicht genügend Karten im Vorverkauf verkauft werden, wird das Konzert einfach mal komplett abgesagt. Auch richtig toll für Musiker und Fans.

Diego: Es gibt ja generell eine Krise in der Live-Musik. Analog zu den Major-Labels, die die ganzen Backkataloge wieder raus hauen und den Bühnenmarkt damit überflügeln und verzerren. Das ist alles zugeschnitten auf eine Käuferschaft um die 50. Die haben alle einen Job und können sich die Platten mittlerweile leisten, die sie unbedingt schon immer mal haben wollten. Das ist das Geschäftskonzept und genauso ist es bei den Konzerten. Warum gehen so viele Leute zu den Rolling Stones? Das ist ein musikalisches Altersheim.

Ich unterstütze manchmal auch die fetten Veranstaltungen, aber bevorzuge vorwiegend die kleinen Events. Das Phänomen Rammstein verstehe ich zum Beispiel gar nicht.

Diego: Rammstein ist eigentlich Rentnermusik.

Nehme ich sofort als Headline für das Interview.

Diego: Das darfst du schreiben (lacht). Ich will das jetzt auch gar nicht verteufeln. Wenn irgendeine Band spielt, die ich immer schon mal sehen wollte, dann gehe ich da auch hin. Wenn ich das in meiner Jugend nicht geschafft habe, dann ist das doch toll. Aber es ist natürlich auch logisch, wenn in der Daimler Benz Arena The Cure spielen und die Karte kostet 70 oder 80 Euro, dann ist die Marge ziemlich hoch. Ich war auch da. Ich finde The Cure super, aber ich habe mich dann schon gewundert über dieses ganze Konzept. Kommst erstmal rein und denkst, du bist in einem Autosalon. So ist dieser Markt halt angelegt und die kleinen Clubs können da nicht mithalten. Was die Clubs getragen hat waren ja die jüngeren Musikfans. Die gehen da einfach nicht mehr hin. Rockmusik ist relativ out. Viele Clubs können sich Live-Konzerte nur noch leisten, wenn sie danach noch Partys organisieren. Bei der Band ist dann allerdings kaum einer und die Party ist voll, weil da jemand seine Hitliste durch den PC jagt… Das Interesse ist einfach nicht mehr da und deshalb müssen wir Musiker schlechtes Essen im Backstage essen (lacht).

Sauerei und dann auch noch in versifften Backstageräumen. Das kommt ja auch noch dazu. Hast du einen Lieblingskoch im Fernsehen?

Diego: Ich hätte jetzt fast Max Inzinger gesagt… („Ich hab da mal was vorbereitet“, TV-Koch aus den 1970ern). Das ist allerdings ein mieses Schwein. Der mischt als Berater bei der FIFA mit, wird aber von Interpol gesucht, soweit ich weiß. Wegen mehrfachen Betrugs ist er irgendwann nach Südafrika und versteckt sich da, falls er überhaupt noch lebt. Bin da nicht mehr auf dem neusten Stand.

(Der Typ scheint immer noch dort zu leben und beteuert immer noch seine Unschuld.)

Diego: Lieblingskoch… hm… Hunger.

Hunger?

Diego: Hunger ist der beste Koch.

Achso. Haha. Hattet ihr früher die Hörzu im Abo?

Diego: Nein. Mein Vater hatte die ADAC Motorwelt. Aber auch nicht, weil ihn das interessierte, sondern weil er dort Mitglied war. Sonst gab es bei uns keine Zeitschriften.

Und warum sieht man in deinen Bildern oft Mecki?

Diego: Ich habe mich für die Rekonstituierung der Kultur in der Bundesrepublik nach dem Krieg interessiert und Mecki war so eine Figur, die den neuen deutschen Typus darstellen sollte. Also, gemütlich, behäbig, Schrebergärtner, vernünftig und gleichzeitig war es auch eine Figur, die instrumentalisiert wurde für politische Aufgaben. Sie sollte den Deutschen Demokratiebewusstsein näher bringen. Da gab es dann diese Animationsfilmchen, die ganz schön gemacht waren, worin Mecki den Leuten so ganz nebenbei das politische System erklärt.

Ah, so war das mit Mecki. Ich habe eher so eine gruselige Erinnerung an den. Diese Gestalt an sich.

Diego: Man kann das schon zweigleisig sehen. Der wirkt auch ziemlich sonderbar. Wie so ein komischer Hausmeister, der den ganzen Tag Bier säuft oder so. Ich habe mich einfach viel mit dieser Zeit beschäftigt. Das habe ich ja auch schon eben mit den Schlagerplatten angedeutet. Einfach aus kulturgeschichtlichem Interesse. Ich wollte den Mecki dann auch in meinen Bildern transponieren. Das fand ich ganz interessant im Kontext: Die Erschaffung des neuen Menschen.

Man kommt in Berlin ja an sehr vielen Galerien vorbei. Jetzt mal naiv gefragt, mich wundert es immer, wie die sich halten. Riesige Räume mit ein paar Bildern und kein Mensch zu sehen.

Diego: Die leben vom Verkauf, das hat mit Besuchern gar nichts zu tun. Die nehmen im Jahr an drei bis vier Kunstmessen teil und in der Regel wird damit das Geld dann auch eingespielt. Wir reden hier von 100.000er Beträgen. In die Galerien selbst kommen eher keine Besucher. Das passiert dann schon mal auf der Vernissage, dem sogenannten kleinen Kunsthandel. Der Verkauf findet allerdings vorwiegend auf den Messen statt oder direkt über die Kunstsammler, die gezielt kaufen. Das sind Sachen, die eher hinterm Vorhang passieren. Anders ist das bei Museen, da gibt es einen öffentlichen Beitrag und private Sponsoren. Alle möglichen Konzerne investieren in Kultur: BMW, Daimler Benz, usw. Da geht es dann natürlich auch um einen großen Topf voll Geld und das wiederum beeinflusst dann auch die Museen. Wenn ich so was sage, dann regen sich viele Leute darüber auf, aber es stimmt einfach. Ich habe mal eine kunstkritische Arbeit machen wollen in einer Frankfurter Institution und dann übernahm die Deutsche Börse die Förderung und das Projekt wurde gekippt. Es war ein marxistisches Projekt und es kann funktionieren, aber muss auch nicht. Die Beeinflussung liegt vorwiegend auch darin, dass sich Firmen Signifikanz einkaufen, indem sie immer wieder dieselben Namen ausstellen, wie Jeff Koons oder Gerhard Richter. Das sind ja auch tolle Künstler, aber es geht ums Branding, die Entwicklung der Marke und das merkt man dann schon.

So läuft das in der Popmusik ja auch, eigentlich überall.

Diego: Das ist halt Kapitalismus. Aber mir muss keiner was vorheulen. Ich habe die Parteien nicht gewählt. Früher in den 1950er Jahren, da sind wir wieder in der Mecki-Welt,  gab es einen Wahlspruch von der CDU: „Jammert mir nichts vor, ich habe CDU gewählt“ (lacht). Also, ich habe sie nicht gewählt.

Frustriert dich das noch sehr, wenn du dabei an deine eigene Kunst denkst?

Diego: Da bin ich drüber hinweg. Hat es aber.

Kann ich mir gut vorstellen. Gerade auch hier in Berlin. Nach der Wende war das wahrscheinlich auch noch mal alles anders.

Diego: Klar, billigere Raummieten, überhaupt mehr Raum verfügbar und es war in allen Bereichen viel mehr möglich: Musik, Theater, Bühne und Kunst. Vor 15 Jahren fing schon die erste Welle des Projektraumssterbens an. Irgendwann hast du dann nur noch diese gebrandeten Schickimicki Dinger und das, was Berlin eigentlich attraktiv gemacht hat, dass hier Sachen möglich waren, die woanders nicht realisierbar waren. Dass viele Leute hierhin kommen konnten, Künstler aus allen Ländern, das nicht-kommerzielle, man musste sich nicht auf die großen Firmen und Institutionen verlassen, sondern konnte einfach was entdecken.

Aber es kommen ja immer noch Künstler aus aller Welt, die sich hier verwirklichen wollen.

Diego: Die arbeiten aber auch alle noch in der Kneipe. Es redet ja keiner darüber. Ich habe hier eine lange Zeit auch ein bisschen in der Kulturpolitik mitgemacht und wir haben damals vom Berufsverband der Bildenden Künstler eine Studie in Auftrag gegeben über die soziale Lage der Künstler. Viele reden nicht gerne darüber, klar, wer tut das schon, aber die meisten Künstler können von ihrer Kunst einfach nicht leben. So ist das leider. Ein großer Teil lebt wirklich in sozialen Randlagen, lebt von Hartz IV usw. Da muss man sich nichts vormachen.

Man müsste einfach offener darüber reden, wie Scheiße die Lage ist?!

Diego: Das fängt ja schon bei Gesprächen mit Künstlerkollegen an. Man merkt, dass man seinen Marktwert irgendwie halten muss. Die Darlegung ist, dass man gut im Geschäft ist, obwohl das gar nicht so ist.

Das ist irre und hat mir letztens auch Kitty Solaris im Interview erzählt. Viele tun so, als sei alles in Ordnung, damit man weiterhin im Geschäft bleibt. Sehr traurig.

Ich lese gerade dein Buch „Der Knecht„. Ich gebe zu, es ist keine leichte Lektüre und ich brauche etwas mehr Zeit, um voran zu kommen.

Diego: Auf jeden Fall. Aber da es ja auch sehr viele Essays enthält, kann man auch mal ein oder zwei überspringen, wenn es einen nicht so interessiert.

Das habe ich auch gemacht. Bemerkenswert auf jeden Fall, wie du das alles recherchiert hast. Das ist eine wissenschaftliche Arbeit.

Diego: Ist es auch. Es ist eine künstlerische-wissenschaftliche Arbeit.

Wie lange hast du daran geschrieben?

Diego: Sechs Jahre.

Wow. Der Protagonist, Ulrich Aignschaft, auch ein super Name, steckt in der Figur ein  bisschen was Autobiographisches?

Diego: Das ist eine gute Frage. Ich antworte darauf mal so: Der Typ, benannt nach dem Mann ohne Eigenschaften, der auch Ulrich heißt, vereint autobiographische Erlebnisse von mir, aber auch biographische Erlebnisse von anderen Leuten aus meinem Umkreis, aus meiner Generation, die mir irgendwie exemplarisch erschienen. Also die Figur ist eine Kunstfigur. Das bin nicht ich. Meine Lebenssituation ist ja auch völlig anders. Ich lebe nicht alleine, obwohl ich es natürlich kenne, alleine zu leben. Da haben mich aber eher die anderen Geschichten beeinflusst, weil mich ja vor allem die Vereinsamung so fasziniert hat. Das Leute im Zuge der Individualisierung immer mehr Vereinsamen. Beziehungsärmer werden durch soziale Netzwerke, Handys, usw. Das ist eigentlich wie ein Strudel. Von der Individualisierung , Betonung auf individuelle Freiheiten, Vernachlässigung des kommunalen Gedankens. Was hält mich mit den Leuten meiner Generation zusammen, ohne jetzt darauf einzugehen, was im Osten gerade passiert. Es gibt ja auch ein universales Gruppendenken. Es muss ja nicht gleich immer alles ins Negative führen. Aber guck mal nach draußen, wie viele Leute gucken auf ihre Handys und rennen dabei fast gegen die Laterne.

Ich finde das Einsamkeitsthema sehr interessant und beobachte das auch in meinem Umkreis. Auch hier habe ich oft den Eindruck, dass viele so tun, als wäre alles in Ordnung und mit der Familie ist es zwar anstrengend, aber trotzdem schön und nur als Single ist man einsam. Blödsinn. Ich kenne sehr viele Menschen mit Kindern und Partner und sie sind trotzdem oft einsam.

Diego: Es wird auch gar nicht mehr so viel darüber geredet. Das Thema ist out, Familien sind in. Das sieht man ja auch in den Medien, Zeitschriften, überall die neuen coolen Familien, bisschen Patchwork schadet nie, alles wird lockerer gesehen und natürlich essen alle nur Bioprodukte. Die Kinder werden in die Waldorfschulen geschickt.

Ja, aber ich finde, wir sind auch so eine Generation der Einzelgänger. Natürlich auch durch die sozialen Medien verstärkt und oft nicht gut fürs Ego. Nehmen wir zum Beispiel Tinder. Das Selbstbewusstsein wird hier doch oft in eine falsche Richtung gestärkt und tut meiner Meinung nach vielen Leuten nicht gut.

Diego: Dieses Gefühl der Verfügbarkeit, dass du alles haben kannst, wie du es dir wünschst und im Katalog dir aussuchst. Tinder ist ja nichts anderes als ein Junggesellenkatalog. Und wenn es nicht genau diesen Vorstellungen und Kriterien entspricht, dann ist das doof und dann kommt das Nächste. Aber das ist doch das grundlegende in sozialen Beziehungen, vor allem in der sozialen Beziehung der Liebe. Man muss doch flexibel sein. Man muss sich auf Dinge einlassen können, die halt von der Idealvorstellung weg gehen. Wenn du das nicht kannst, dann bist du unglücklich und das ist auch der Grund warum so viele Leute unglücklich sind. Sie haben diese soziale Flexibilität verlernt.

Genau, viele wollen sich damit einfach nicht mehr beschäftigen und verkriechen sich in ihre Ego-Höhlen und sagen, mir geht es alleine ja eigentlich ganz gut.

Diego: Da ist der Weg vom Individualismus zum Egoismus nicht weit.

Und weiter mit traurigen Themen. Hast du schon mal eine Lieblingsplatte verkaufen müssen, so wie dein Protagonist im Buch „Der Knecht“?

Diego: Nee, das bringt ja viel zu wenig Geld. Ich habe schon auch teure Platten, aber in meinem Haushalt findet sich bestimmt etwas, das mehr Geld bringen würde. Ich habe einen Haufen Gitarren und wenn ich Geld brauche, dann verkaufe ich eine von denen. Aber im Moment geht es mir ganz gut. Das habe ich früher mal gemacht.

Schon mal Stage diving gemacht?

Diego: Nee.

Bei euren Konzerten?

Diego: Das könnte eher schmerzvoll enden. Der Moshpit ist doch eher leer. Wir sind nicht so eine Band, eher zum Mitwippen und Bier trinken.

Wird es eine neue Platte von Black Heino geben?

Diego: Ja, wir arbeiten tatsächlich an neuen Songs und es wird sicherlich auch demnächst ein neues Album geben. Wird ja auch noch mal Zeit. Das Problem ist, dass wir alle arbeiten müssen und da hapert es immer an irgendwas und jemanden.

Was war der schlimmste Job, den du jemals gemacht hast?

Diego: Da gibt es jede Menge. Anstreicher auf dem Kasernenhof. Panzerunterstände streichen und entrosten. Das habe ich sechs Wochen langgemacht. Es war schlimm. Bei Bacardi am Fließband, das war auch nicht so toll. Ich habe so viele Scheißjobs gemacht, die kann ich gar nicht alle aufzählen.

Warst du schon mal auf einem Schlagerkonzert?

Diego: Ja, bei Chris Roberts. Das war eher Zufall, in der Karnevalszeit. Da spielten auch die Höhner.

De Höhner, herrlich!

Diego: Die habe ich mir nicht angeschaut, sondern bin dann danach ins Zelt rein. Chris Roberts kannte ich noch von früher auf Kassette.

Sing mal ein Lied an?

Diego: Die Maschen der Mädchen….

Das kenne ich gar nicht.

Diego: Der war auch eher so ein B-Schlagerstar. Ich bin dann auf jeden Fall dahin und dachte mir, von dem hole ich mir jetzt auch ein Autogramm. Das habe ich auch gemacht und dachte, ich könnte da noch einen flotten Spruch bringen. Ihn also auf so einer selbstironischen Ebene treffen, aber der Typ verstand überhaupt keinen Spaß. Der war einfach nur aalglatt, unprofessionelle Sprüche, nur so einstudiertes Zeug. Ganz unlustiger Typ. Schockierend.

Schlimm.

Diego: Ja, sehr. Mein allererstes Konzert, war nicht wirklich ein Schlagerkonzert, aber bedrohlich nah dran, das waren The Lords. Auf dem Familienflohmarkt in Buxtehude, da komme ich her. Später haben wir da auch mal mit meiner Band gespielt.

Buxtehude, ach so. Ich dachte du kommst ursprünglich aus Hannover?

Diego: Da bin ich geboren. Bin aber 1973 weggezogen. War mir zu öde. (lacht).

Buxtehude, viel besser. Bin ich neulich durchgefahren. Das liegt zwischen Stade und Hamburg?

Diego: Genau. Da bin ich aufgewachsen. In einer halben Stunde bist du mit der S-Bahn am Hamburger Hauptbahnhof.

Bist du Heino schon mal begegnet?

Diego: Nee. Will ich auch gar nicht. Der hat ja irgendwann angefangen uns zu imitieren (grins).

Haha, stimmt.

Diego: Kommt da an mit Lederjacke und Sonnenbrille. Dieser volkstümliche Barde macht da plötzlich einen auf Rockmusik und alle finden es super. Das ist natürlich ganz scheußlich. Der ist halt eine Art Comicfigur. Politisch auch nicht ganz sauber. Sagt, dass er SPD wählt und tritt dann beim Schlesiertag auf, wo Leute Reichsflaggen schwenken. Über die Geisteshaltung muss man sich nicht weiter unterhalten.

Das mit Morrissey ist ja auch eher alles tragisch.

Diego: Schrecklicher Typ. Dem wünsche ich wirklich alles Schlechte auf der Welt.

Hast du noch Smith Platten?

Diego: Ja, ich finde The Smith auch gut. Seine reaktionären Potenziale waren da noch nicht ausgeprägt und Johnny Marr hat auch immer wieder dagegen gebremst. Der ist politisch ganz anders unterwegs. Das war schon eine super Band und ich kann auch verstehen, wenn ein Dietrich Dietrichsen die toll fand. Der behauptete ja damals, die hätten den Pop gerettet. Ist vielleicht ein bisschen übertrieben, aber das war schon eine gute Zeit und die haben gute Platten gemacht. Das Werk ist einfach das, was es ist. Ich finde Morrissey solo gar nicht mehr interessant, aber dann noch der Typ dazu und die Sprüche, das geht einfach gar nicht. Nee, das ist einfach ein Tabu. Nicht nur sagen: „Ach, das interessiert mich nicht“, sondern da muss man eigentlich sagen: „Ich bin dagegen!“

Gibt es eine Band die du total hasst?

Diego: Es gibt eine Richtung, wo ich sofort das Radio ausschalte. Produktionen, die sich nach baden-württembergischer Popakademie anhören. Alles klingt gleich und alle haben dasselbe Schema und diese Erbauungslyrik. So was wie: Du lebst dein Leben und du lebst nur diesen Moment. Diese Betonung auf einzigartige Momente. Die völlig inflationär sind und dazu so eine komische übermäßig emotionale Stimme. Ich hab es ja nicht so mit Romantik und das kann ich gar nicht ausstehen, wenn Musik ein Produkt wird und Emotionen zu stark betont werden. Das ist wie Bierwerbung. Ein unvergleichlicher Moment wird erlebt durch den Genuss von Bier. Derartige Musik klingt auch wie Werbung, Styleprodukte. Ich sag jetzt keine Namen.

Man kann sich die Bands jetzt aber ganz gut vorstellen, die du meinst. „Ein Hoch auf uns“ von Andreas Bourani fällt mir dazu ein.

Diego: Ah, Moment. Einen kann ich dir jetzt doch sagen: Xavier Naidoo hasse ich auf jeden Fall.

Musik und Essen passen zusammen, wie…

Diego: Ich vervollständige den Satz mal nicht. Dazu fällt mir gerade nichts ein, aber natürlich passt das. Und schlechte Musik kann einem das Essen auch versauen.

 

Bildquellen

  • Quark und Kartoffeln: Bildrechte beim Autor
  • Maultasche ohne Quark: Bildrechte beim Autor

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